Seenomaden – Frei wie der Wind

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Seit zwei Jahrzehnten segeln die als „Seenomaden“ bekannten Österreicher Doris Renoldner und Wolf Slanec über alle Meere. Ihre letzte große Reise führte sie zum zweiten Mal um den Globus. Und mehrfach an ihre Grenzen.

Zweimal die Welt umrunden und dabei 110.000 Seemeilen loggen – das ist kein Ausstieg für zwischendurch, auch kein Trip oder Projekt. Das ist unser Leben. Wolf und ich haben wenig und wir haben viel. Viel Natur, viel Draußensein, viel Zweisamkeit und Selbstbestimmung. Ein Sein im Hier und Jetzt.

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Nomad ist unser schwimmendes Zuhause. Alles, was wir besitzen, ist in Armeslänge von uns entfernt. Was wir nicht mitführen können, findet Platz in der Erinnerung. Eine Lebensweise, die bestimmte Dinge voraussetzt. Gesundheit vor allem, und Urvertrauen. Und einen entspannten Umgang mit dem Mangel an Sicherheit.

Im Jahr 2002 brachen wir auf zu unserer zweiten großen Fahrt. Unser erstes Ziel: Südamerika. In Patagonien bestimmte der Wind unser Sein, er war das Maß aller Dinge, diktierte die Form der Bäume und lehrte uns Geduld und Respekt. In schlimmen Stürmen lernten wir unsere Feigheit kennen, durchschritten die Höllen der Angst, zitterten um unser Boot und zum ersten Mal auch um unser Leben. Ist alles überstanden, kann man leicht mutig sein, darüber schreiben und reden. Aber nie die Demut verlieren, sie ist eine gute Begleiterin auf dem Meer.

Mitte März warteten 2.000 Seemeilen in der Einsamkeit Südchiles auf uns, abseits jeglicher Zivilisation. Wochenlang kämpften wir um jede Meile Richtung Norden, gegen wütende Schneestürme, Hagelschauer und lähmende Flauten. Nässe und Kälte drangen durch Mark und Bein, und unsere nicht isolierte Nomad verwandelte sich in eine Tropfsteinhöhle. Das ständige Bangen, ob Anker und Landleinen halten, strapazierte unsere Nerven.

Dazwischen entschädigte uns die Natur mit ungezähmter Schönheit für ihre schlechten Launen. Die Fahrt um Südamerika hatte uns alles abverlangt, aber auch reich beschenkt. Die härteste Konfrontation mit den Elementen war gleichzeitig die tiefste Begegnung mit dem Leben.

Zeitlos im Pazifik

Nach über einem Jahr in Patagonien wuchs die Sehnsucht nach wärmeren, tropischen Gefilden. Im Februar 2004 steckten wir Nomads Bug in die unendliche Weite des Pazifiks, machten uns auf zu entlegenen Inseln, die seit der Kindheit unsere Phantasie beflügelt hatten. Traum und Wirklichkeit verschmolzen, als wir auf der Robinson Crusoe Insel ankerten, auf der Osterinsel, Pitcairn und in den Tuamotus.

Jeden Morgen erwachten wir in einer Postkartenidylle. Vor einem unbewohnten Motu blieben wir einen ganzen Monat, ernährten uns von Fisch, Reis und Kokosnüssen; Lagerfeuer am Strand inklusive. Ein simples Leben, schonend im Umgang mit Energie und Natur. Ein Leben zum Anfassen, fern von E-Mails, Facebook, TV-Berieselung, Fast Food und Rastlosigkeit. Waren wir jemals glücklicher?

Inseln, Inseln, Inseln

Im Mai 2006 sind wir ernsthaft auf Westkurs. Inseln, Inseln, Inseln. Cook Islands, Fidji, Neuseeland. 1.200 Seemeilen in nur sieben Tagen auf Halbwindkurs: Ständig überspültes Deck, tropfende Luken, Waschmaschine mit Schleudergang. Vollgas. Aber es lohnt sich, denn kaum in Opua angekommen, zog Sturm auf. Geschwindigkeit kann auch für Sicherheit stehen.

In den Hinterhöfen der Südsee

Weiter weg geht nicht, zwangsläufig befanden wir uns also von nun an auf dem Heimweg. Ein Gedanke, der uns gar nicht gefiel. So schenkten wir uns ein weiteres Jahr in der Wildnis, Lichtjahre vom Lifestyle Bora Boras entfernt. Im Juli 2007 setzten wir Segel Richtung Melanesien und Mikronesien, eine Kette von Archipelen im Westpazifik. Tikopia, Nanumea, Ailuk, Nukuoro, Kapingamarangi, Kitava – klingende, kaum bekannte Namen in einem ozeanischen Kosmos, weit abseits gängiger Fahrtenseglerrouten. Was in den Monaten darauf folgte, war erwartungsgemäß kein gemütlicher Urlaubstörn.

Jeder kleine Schnitt wucherte zum Tropengeschwür, in brütender Hitze geriet jegliche Aktivität zu ungeheurer Anstrengung. Wir trafen auf Kulturen fern der Neuzeit, archaisch, voller Tabus und rätselhafter Rituale. Manchmal fühlten wir uns wie Außerirdische. Elf Monate verbrachten wir in den Hinterhöfen der Südsee, lebten außerhalb unserer Zeit. Wir vermissten nichts, die Insulaner lehrten uns Genügsamkeit: Weniger, statt immer mehr.

Schließlich das Unbehagen vor der Rückkehr in die Zivilisation. Und ein Gefühl von Zerrissenheit. Als ob uns das Wandern zwischen den Welten daran hindern würde, uns irgendwo heimisch zu fühlen. In Australien erwachten wir endgültig aus der pazifischen Traumzeit, außerdem stand ein längerer Werftaufenthalt am Programm. Wir rüsteten Nomad für den letzten Teil der Reise und gaben in einem Monat mehr Geld aus, als im ganzen Jahr davor. Unter sengender Sonne schraubten, flexten, schweißten, pinselten und werkelten wir Woche um Woche.

Indik und Atlantik

Am 20. August 2008 verließen wir den roten Kontinent und zogen hinaus in den Indik. Ab jetzt ging es mit Riesenschritten heimwärts: 7.000 Seemeilen bis Südafrika, dazwischen Trittsteine wie Ashmore Reef, Christmas Island, Cocos Keeling.

Anfang April 2009 rauer Start von Kapstadt mit Kurs auf St. Helena. Wie Tarzan und Jane schwangen wir uns beim Anlanden auf Haltetauen vom Beiboot auf den Kai. Meter für Meter quälten wir uns mit flappenden Segeln Richtung Äquator. Nach 25 Tagen erreichten wir endlich die Insel Santiago; mit zerrissenem Großsegel und kaputtem Getriebe.

Der Sack ist zu

Genau vor dieser Insel kreuzten wir unsere Kurslinie von 2002 und hatten somit zum zweiten Mal die Welt umsegelt. Ein Blick in den Spiegel: Die Reise ist nicht spurlos an uns vorüber gegangen war. Meine ersten graue Haare, ein Spinnengewebe von Falten in unseren Gesichtern. Zeugen peitschender Stürme und erbarmungsloser Sonne. Spuren von Angst und Freude, von Staunen und Begreifen.

Die Weltumsegelung war komplett, doch die Reise noch lange nicht zu Ende. 1.500 Meilen bis zu den Azoren. Und über 4.000 Meilen bis Izola. Zwei Tage später in Tarrafal der große Dämpfer. Mitten in der Nacht kamen Banditen an Bord. Computer, Bargeld, Kleidung, Schuhe weg.

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Dann die Hafenmauer von Horta im Morgendunst, ein magischer Moment. Unversehrt in Europa angekommen zu sein, verschaffte uns eine tiefe Befriedigung. Zum zweiten Mal hatten wir den Globus umrundet, das machte uns demütig und dankbar. In unsere Aufregung und Freude mischte sich aber auch Furcht. Vor der Heimkehr, vor den Umstellungen, die das Leben an Land mit sich bringen würde.

Im Moment leben wir in einer kleinen Wohnung in Puchberg am Schneeberg (Niederösterreich), schreiben unser Buch, bereiten die neue Multivisionsschau vor. Manchmal träume ich, dass Wolf mich fragt, ob wir wieder lossegeln wollen. Ich wäre leicht zu überreden. Ich weiß, er wird irgendwann fragen. Vielleicht in zwei, drei Jahren. Vielleicht aber schon morgen, gleich nach dem Frühstück.

Die Seenomaden Doris Renoldner und Wolf Slanec kann man am 13. Oktober in Köln live erleben.

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