Tokio – Zwischen Hightech und Tradition

1837

In Japan verbreitet sich nach Erdbeben und Atomunfall wieder Optimismus. Die expansive Wirtschaftspolitik mit attraktiven Investitionsanreizen lockt auch deutsche Unternehmen – nicht nur nach Tokio, sondern ins ganze Land. Ein stark zum Euro abgewerteter Yen macht die Reise zudem günstiger.

Mitte Februar dieses Jahres startete eine Wirtschaftsdelegation mit NRW-Minister Garrelt Duin an der Spitze von Düsseldorf nach Japan. Eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswert ist aber, dass die Unternehmer von Tokio nach Fukushima weiterreisten, dorthin, wo der nach einem Erdbeben und Tsunami im März 2011 havarierte Atommeiler noch immer nicht hundertprozentig gebändigt scheint.

Wollten sie Business as usual demonstrieren? Eine mutige Task-Force bilden? Oder ist es lediglich eine Geste der Verbundenheit? Alles ist richtig. Doch zuallererst standen hinter der Reise handfeste wirtschaftliche Interessen. Japan meldet sich zurück.

Nach jahrelanger Stagnation sowie Deflation und dann der Erdbeben-Tsunami- Katastrophe mit verheerenden Folgen wächst derzeit wieder Optimismus. Mit einer mutigen „Drei-Pfeile-Strategie“ (1. kühne Geldpolitik; 2. flexible Fiskalpolitik; 3. Wachstum) will der Ende 2012 zum Premierminister gewählte Shinzo Abe die Wirtschaft stimulieren.

Kaminarimon or "Thunder Gate" in Sensoji Temple

Neuer Schwung

Zwar hatten Experten von der so getauften „Abenomics“–Strategie bereits 2013 mehr Wachstum erwartet als die mageren 1,3 Prozent. Aber die Stimmung sorgt für Lichtblicke. Laut einer Umfrage plante ein Viertel aller Unternehmen im Geschäftsjahr 2014/15, ihre Investitionen auszuweiten, 60 Prozent halten ihre Investitionspläne konstant.

Immer mehr deutsche Unternehmen sondieren jetzt ihre Chancen, von den „Abenomics“ zu profitieren. Sie müssen sich allerdings nicht mehr – wie einst 1853 die Europäer und Amerikaner – den Zugang zum japanischen Markt mit drohenden Kriegsschiffen erzwingen. Jetzt sind Investoren hochwillkommen.

Zukunftsbranchen wie Mikro- und Nanotechnologie und Gesundheitswirtschaft bieten Chancen für mittelständische Unternehmen sowohl in Japan als auch in Deutschland. So hat beispielsweise die japanische Lixil Corporation kürzlich den Armaturenhersteller Grohe gekauft. Überdies zählt Japan zu den weltgrößten Märkten für Medizintechnik – eben jener Technologie also, die als eine Domäne deutscher klein- und mittelständischer Unternehmen gilt.

Aber nicht nur NRW-Wirtschaftsminister Duin und seine Entourage kamen mit vielversprechenden Projekten im Gepäck zurück, es herrscht auch andernorts jetzt reger Geschäftsverkehr. Das Fraunhofer ISE in Freiburg startet mit dem „Fukushima Renewable Energy Institute“ eine Kooperation zur Solarforschung.

BASF hat Anfang des Jahres in Amagasaki, zwischen Osaka und Kobe gelegen, ein Labor für innovative Batteriemateralien eingeweiht, und Bosch forscht in einem Joint-Venture mit Mitsubishi und Akkumulatoren- Hersteller GS Yuasa in Japan und in Stuttgart daran, die Leistungsfähigkeit von Batterien bis 2020 zu verdoppeln.

Yokohama and Fuji

Zukunftsweisende Projekte

Noch hat der Trip nach Japan hierzulande gegen Vorurteile zu kämpfen, nämlich die mögliche nukleare Strahlung und das Image als ausgesprochen teure Destination. 2013 empfing Nippon gerademal 121.800 deutsche Gäste, zwei Drittel davon waren Geschäftsleute. Aus dem Schwellenland Thailand kamen hingegen 453.000 Gäste, 800.000 aus den USA und aus Südkorea sogar 2,5 Millionen.

Die diffuse Strahlenangst der Deutschen entkräftete im vergangenen Jahr der TÜV Rheinland mit dem Zertifikat „Radiologisch sichere Umwelt“ für alle Gegenden, die Touristen und Business Traveller normalerweise bereisen. Der Hannoveraner Strahlenschutzexperte Professor Rolf Michel sagt sogar: „Die Belastung in Tokio Ende 2012 ent-sprach etwa der von Niedersachsen.“

Und teuer? War gestern! Die Abwertung des Yen im Jahr 2013 um 43 Prozent gegenüber dem Euro als Folge der „Abenomics“ entlastet den Reise- Etat deutlich. „Japan steht aktuell auf Platz 19 im Ranking der teuersten Länder – ein kleines bisschen höher als Deutschland, aber 18 Länder in der Welt sind teurer“, sagt Hirofumi Haraguchi, Leiter Hoteleinkauf der neuen HRS Dependance in Tokio.

Restoboat

Preiswerter als erwartet

Beispiel: „Gyudon“, ein typisch japanisches Lunch Menü, bestehend aus einer Schale Reis mit Rindfleisch und Zwiebeln als Basis, kostet ab 280 Yen, also gerademal zwei Euro. Dafür gibt es hierzulande allenfalls in Firmenkantinen eine Mahlzeit. Haraguchi empfiehlt für dieses Nationalgericht das Restaurant „Yoshinoya“.

Wer seine Geschäftspartner beeindrucken will und in Luxus-Restaurants einlädt, kann natürlich auch hunderte von Euro für ein Steak aus handmassiertem Kobe-Rind berappen. Sushi- Bars überlassen es dem Kunden, ob er zu teuren Spezialitäten greift wie Toro, dem besten Stück vom Thunfisch, oder bescheidener wählt. Sprachunkundige haben selbst in Kleinstädten die Gelegenheit, preiswert zu speisen. Denn immer sind die Gerichte bereits am Eingang als Muster aus Plastik abgebildet.

Auch die Übernachtungskosten unterscheiden sich in Tokio und anderen Geschäftsmetropolen wie Osaka oder Nagoya nicht wesentlich von deutschen Business-Hotels. Sie liegen beim derzeitigen Wechselkurs sogar etwas darunter. Nach oben sind in der Hotellerie allerdings kaum Grenzen gesetzt. Luxushäuser wie Ritz-Carlton oder Four Seasons fangen bei 500 Euro pro Nacht erst an.

Originaltext: Andreas Hohenester

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.