Immer diese Zwickmühlen auf Geschäftsreisen: Da gibt es Situationen etwa beim Business-Meeting, beim Geschäftsessen, bei der Auswahl des Business-Dress, auf die man manchmal keine sichere Antwort weiß. Wie manövrieren Sie sich also geschickt durch schwierige Situationen und wie hilfreich ist dabei der Business-Knigge? Ist das Regelwerk von Adolph Freiherr Knigge zum Umgang mit Menschen noch zeitgemäß oder – im Gegenteil – sogar noch wichtiger denn je? Wir haben dazu mit Deutschlands Top-Experten in Sachen Business-Knigge gesprochen: Clemens Hoyos, Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, kennt so ziemlich jede Antwort auf all die Fettnäpfchen, die im Businessreisealltag lauern und verrät, wie extrem hilfreich wertschätzendes Verhalten für Ihre Karriere ist.

1Herr Hoyos, bei dem Wort „Knigge“ jubeln die einen und stöhnen die anderen. Viele empfinden das, was dahintersteckt, als unverzichtbarer und wichtiger denn je, einige als übertrieben und nicht mehr aktuell. Was antworten Sie darauf in 2020?

Ja, diese Ansichten treffen häufig aufeinander, ich höre das oft. Ich versuche dann zu erklären, dass Knigge bedeutet, meinem Gegenüber Wertschätzung und Rücksichtnahme zu zeigen. Egal bei welchem Anlass, also ob Sie beim Business-Dinner sind, im Meeting, im Business-Hotel – es gibt immer ein Gegenüber und etwas, das Sie bei ihm erreichen möchten. Eine bessere Geschäftsbeziehung, einen Vertragsabschluss, ein besseres Zimmer, ein Upgrade, oder ganz einfach, dass er sich in unserer Gegenwart wohlfühlt. Das klappt am besten mit Wertschätzung, auch in 2020. Noch schöner ist es, wenn ein solches Verhalten ganze ohne Selbstzweck und Absicht an den Tag gelegt wird.
Was häufig mit Knigge gleichgesetzt wird, sich davon aber unterscheidet, ist Etikette. Also starre soziale Normen, die in unterschiedlichen Kreisen herrschen, z.B. in krawattentragenden Diplomatenkreise oder bei Teenagern, die sich mit der Ghettofaust begrüßen.

Beim Business-Knigge geht es nicht ums Aufzwingen von Verhaltensweisen, das ist nicht Sinn der Übung.

Wir sind doch alle Menschen. Es ist wichtig, authentisch zu sein, zu wissen, wer man ist, was man sich selbst wert ist, für welche Werte sein Gegenüber steht. Jeder muss für sich entscheiden, wie weit er beim Spagat zwischen Knigge und Etikette gehen möchte. Ich verstehe, dass das nicht immer leicht ist.

2Wie schaffen Sie den Spagat zwischen dem wertschätzenden Knigge und der starren Etikette?

Das, was sich zum Thema Knigge sagen lässt, ist nicht mehr als eine Empfehlung. Unser Verhalten hat immer Konsequenzen, das sollte man im Kopf behalten und entsprechend auch mit den Konsequenzen leben können, wenn man nicht alles beachten möchte. Es schadet nicht, die Gesellschaft, in der man sich befindet, ein wenig zu kopieren, das ist eine Form der Anpassung und Akzeptanz. Jeder will doch gerade im Geschäft beim anderen einen guten Eindruck erzeugen. Und wem das Gefühl für Situationen nicht in die Wiege gelegt ist, der kann es ja lernen. Ebenso Manieren, also wie ich etwas handwerklich geschickt und elegant mache. Das ist auch eine Form der Rücksichtnahme.

3Welche neuen Facetten kommen beim Business-Knigge dazu, auch dank digitaler Medien?

Definitiv der Umgang mit dem Smartphone. Viele sind unsicher, was denn jetzt richtig ist. Das ist gerade bei einem Business-Termin oder Business-Dinner ein riesen Thema. Da lauern wirklich viele Zwickmühlen und Fettnäpfchen in Sachen Telefonieren und Co.

4Warum ausgerechnet das Telefonieren? Ist das nicht okay, dass man mal kurz zum Handy greift?

Während eines Gesprächs einen Anruf zu beantworten oder auch nur einmal kurz aufs Display zu schauen, kann als Geringschätzung des Gegenübers empfunden werden. Es gibt gute Techniken, diesen Eindruck nicht entstehen zu lassen. Ich empfehle, das vorher anzukündigen und zu entschuldigen. Jeder hat doch Verständnis, wenn es zum Beispiel eine außerordentliche familiäre Angelegenheit gibt, für die man zur Not alles stehen und liegen lassen muss. Manchmal ist es sogar eine gute Option, falls es akut wird, den Termin abzubrechen, weil sich unser Gegenüber zu sehr gestört fühlen würde, wenn man ständig aufs Handy blickt. Dann empfiehlt es sich, hinterher persönlich anzurufen und das nicht ungeklärt stehen zu lassen.
Wichtige Telefonate von unterwegs können ebenfalls eine Herausforderung sein. Sie sind teilweise ganz heikel, weil wir gewohnt sind, viele Dinge gleichzeitig zu tun, wie ich jetzt zum Beispiel gerade, im Hotel auschecke, ein Taxi rufe, Taxi fahre, um dann vom Zug aus weiter mit Ihnen zu telefonieren. Manchmal gibt es diese Situation, so ist der Geschäftsreisealltag. Das Beste, was Sie dann tun können, ist moderieren. Kündigen Sie Ihrem Gegenüber an, was gleich passiert, was Sie jetzt gleich machen werden, damit sich die Person am anderen Ende des Hörers abgeholt fühlt.

5Gibt es noch weitere Beispiele für akute Business-Knigge-Zwickmühlen, die die Digitalisierung hervorbringt?

Viel Unsicherheit bemerke ich auch beim Duzen-Siezen-Thema. Ich komme gerade von einem großen Unternehmen hier in Hamburg, da wird sich durchgehend geduzt. Was die Leute verunsichert, ist die Frage, ob es in Ordnung ist, auch über Unternehmensgrenzen hinweg zu duzen, zum Beispiel via LinkedIn oder Xing. Wenn Sie sich unsicher sind, bleiben Sie beruflich so professionell wie möglich. Ins Duzen kann man ja immer noch schnell wechseln. Übrigens: Wenn man Ihnen schnell das Du anbietet, Sie das aber nicht möchten, ist Ablehnen nie unhöflich.  Denn müssen tun wir gar nichts. Und wer selbstsicher ist, kann auch immer darum bitten, zunächst beim Sie zu bleiben.

6Was macht man, wenn man richtig schön ins Business-Fettnäpfchen getreten ist?

Ja, ganz einfach: Man sollte sich immer treu bleiben und sich wohlfühlen. Ich hatte mal eine etwas unangenehme Situation mit einem Kunden im Aufzug, ein CEO, und er hat wohl erwartet, dass ich den Knopf zu seiner Etage drücke, was ja ungewöhnlich ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte ich „Ich bin so frei“ und drückte den Knopf. Ich habe es einfach getan, weil ich dachte, dass irgendjemand jetzt einfach mal einen Knopf drücken müsste. Das war dann schlussendlich auch okay und wurde mir vom besagten Firmenchef nicht als schlechtes Benehmen ausgelegt.

Wissen Sie, es gibt nichts Peinliches, nur Menschliches.

Je alltäglicher man sowas erlebt, umso eher hat man auch dann Übung darin und umso souveräner wird man mit der Zeit.

7Warum haben viele Menschen den Eindruck, wir bräuchten heute mehr denn je Business-Knigge oder Knigge im Allgemeinen?

Es kann der Eindruck entstehen, dass wir den Zenit der Zivilisation überschritten haben. Alle sind mit allen und allem vernetzt. Vieles ist so hektisch. Warum sich Menschen anderen gegenüber nicht wertschätzend und rücksichtsvoll benehmen, hat heutzutage meistens drei Gründe: mangelnde Empathie, die sich in einer unangenehmen Form des Egoismus äußert, Bequemlichkeit und Stress. Da wird das Gefühl für oder das Wissen um gutes Benehmen schon mal hintenangestellt.

8Was empfehlen Sie allen, die unsicher sind, ob man dieses oder jenes auf Knigge basierende Verhalten heute noch tut – sprich: Kann man es mit Knigge übertreiben?

Ein ganz klares Nein! Mir fällt da die Dame ein, die mir neulich bei einem Business-Dinner ihren Mantel in die Hand drückte, als Sie aufstand. Da kann ich nur sagen: Genau richtig. Nicht unsicher sein, fordern Sie Wertschätzung ein, und dem Gegenüber kann ich nur mitgeben: Helfen Sie einfach in den Mantel oder nehmen Sie sonst jede Gelegenheit wahr, Ihr Gegenüber wertzuschätzen. Fragen Sie sich nicht, ob Sie jemanden einen Gefallen tun können.

 Nutzen Sie einfach die Chance, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Und das ist im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts keine Frage mehr des Geschlechts.

Herr Hoyos, vielen Dank für Ihre Zeit und eine gute Reise nach München!

Über Clemens Hoyos: Clemens Hoyos, seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, berät nationale und internationale Unternehmen unterschiedlichster Branchen, Ministerien, Agenturen, Stiftungen, Universitäten und Hochschulen, sowie auch Personen von öffentlichem Interesse in Sachen Knigge. Zudem bildet er Business-Etikette-Trainer an der IHK aus. Ebenso ist er mittlerweile als Berater in der Luxus- und Einzelhandelsbranche renommiert.

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5 Kommentare

  1. „In 2020“ stößt bei mir auf Missfallen. Entweder „2020“ oder „im Jahre 2020“. Das ist auch keine Frage der Manieren.

  2. Ich kann mich dem Vorredner S. Bechert nur anschließen und hinzufügen:
    a) gut, dies hier zur Feinunterscheidung zB. beim Duzen/ Siezen vom Experten tranchiert zu bekommen!
    b) das Recht zu verstehen, so ein Verhalten auch gelegentlich charmant einfordern zu dürfen! So kommt man zusammen.

  3. sehr schön, eine sachliche, unaufgeregte Aussage zu Verhaltensweisen im Alltag. Einer Frau in den Mantel zu helfen ist für diese sehr oft ungewohnt, manchmal sogar etwas peinlich, aber wird fast immer mit positiven Erstaunen und Dank quittiert.

  4. Auf Messen treffe ich Politker, Vermögensverwalter die Mrd. von € verwalten etc. Wenn ich mir die anderen Besucher dieser Messen so ansehe, glaube ich einen Verfall der Sitten und des Anstandes zu sehen. Da laufen Gestalten in alten Jeans und T-Shirts herum. Viele verzichten auf eine Krawatte. Für mich ist es ein Ausdruck der Wertschätzung meiner Gesprächs- und Produktpartner, wenn ich einen Anzug und eine Krawatte trage. Schließlich betreibe ich mein Geschäft seriös. Da halte ich einen leichten Bieranzug mit offenem Hemd zu Jeans und Sneaker für eine ausgemachte Unverschämtheit. Bringt insbesondere den Jugendlichen heute niemand mehr die einfachen Regeln eines angemessenen Miteinander bei?